„Privileg“ von Wilhelm Kuehs

Pater Bernhard liegt tot und nackt auf seinem
Bett. Ein Strick schneidet in seine Kehle, aber
offiziell ist der Hüter der Kunstsammlung
des Stiftes St. Paul an einem Herzinfarkt gestorben.
Ein paar Tage vor seinem Tod ist das
wertvollste Kunstwerk des Stiftes verschwunden.
Vom mittelalterlichen Adelheidkreuz und der in ihm verborgenen Kreuzreliquie fehlt jede Spur. Pater Jakobus beginnt zu ermitteln und stößt auf den erbitterten Widerstand des Abtes. Gleichzeitig wittert auch der Journalist Ernesto Valenti eine große Story, und aus dem gegenseitigen Misstrauen von Mönch und Journalist wird so etwas wie … Freundschaft?

Leseprobe

Ein Fall für Ernesto Valenti

Die Straße lag verlassen. Für Minuten bog nicht einmal ein Fußgänger um die Ecke, und der Verkehrslärm brandete nur leise zu Ernesto Valenti, der mit einer Kaffeetasse vor der Redaktionstür der Kärntner Tagespost stand. Heute, an diesem Karfreitag, war die Sekretärin nicht zur Arbeit erschienen. Sie fuhr mit ihrem Mann und dem Kind übers Wochenende nach Italien.
Ernesto steckte bis zum Hals in Arbeit. Die Doppelseite für morgen und jene für Sonntag waren noch lange nicht fertig. Es gab Termine für Ostermessen, Berichte über ein Jugendfußballtreffen und erste Presseaussendungen der Tourismusregion zur Sommersaison. Nichts davon hatte Ernesto bearbeitet. Stattdessen stand er da, die Kaffeetasse in der Hand, und sah sich eine Einladung an.
Auf dem in der Mitte gefalteten DIN A4-Blatt prangte ein Hakenkreuz. Ein graublaues, leicht verwaschenes Hakenkreuz auf einer Hausmauer. Darüber hatte man eine durchsichtige Plexiglasplatte geschraubt, und Ernesto konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, man hätte die Platte angebracht, um das Hakenkreuz vor Umwelteinflüssen oder, Gott bewahre, vor Gewaltakten zu schützen.
Das »Gott bewahre« passt ganz gut, dachte Ernesto. Immerhin gehörte das Gebäude und damit auch das Hakenkreuz dem Benediktinerstift St. Paul, und Abt Maximilian Fürstberg höchstpersönlich lud zur feierlichen Einweihung der Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus mit Festmesse um neun Uhr vormittags am Ostermontag.
Ernesto schüttelte den Kopf und rollte sich eine Zigarette. Der Abt hätte das Hakenkreuz ohne weiteres abschlagen lassen können. Niemand hätte Einwände erhoben. Aber der Abt lehnte das ab, das hatte er gerade in einem Telefoninterview bestätigt. Er wolle ein Mahnmal.
Ein seltsames Verhalten. Ernesto zog an seiner Zigarette, nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Er würde es herausfinden, und er würde so lange bohren und graben, bis er wusste, was da in St. Paul in dieser fast tausendjährigen Abtei wirklich geschah.

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Privileg
Kriminalroman von Wilhelm Kuehs
Taschenbuch, 271 Seiten, € 13,90 (A)
ISBN 978-3-99074-279-2