„Sand des Vergessens“ von Michael Koller
In einer klimatisch stark in Mitleidenschaft gezogenen Epoche, irgendwann nach dem Ende eines blutigen Religionskrieges. Mik, seine Frau Sus und ihre beiden Kinder Jul und Luk leben als Nomaden in einem öden Wüstenland, dessen Grenzen auch das Ende der ihnen bekannten Welt bedeuten. Bei einer merkwürdigen Begegnung treffen sie auf einen Mann, der Mik einen sakralen Gegenstand übergibt. Wenig später schließt sich die Familie einer Karawane an, die Richtung Mokkado zieht. Doch in Mokkado angekommen, wird er des Mordes angeklagt und in einem Schauprozess rasch für schuldig befunden. Doch das ist erst der Beginn einer abenteuerlichen Reise..
Leseprobe
Mik streifte mit einer kurzen, gerade geschnittenen Holzlatte den Morgentau von der waagerecht angebrachten, breitflächigen Plane, unter der die anderen noch schliefen. Der Morgen dämmerte und das Gefäß in seiner Hand, mit dem er die kostbare Flüssigkeit auffing, füllte sich spärlich. Es würde gerade für den Morgentee reichen. So wie jeden Tag. Mik stellte den verbeulten und verkohlten Topf auf die verbliebene Glut jenes Feuers, um das sie sich gestern Abend geschart hatten. Es dauerte nicht lange, bis das Wasser zu kochen begann und ohne seine gegerbten Hände vor der Hitze schützen zu müssen, griff er nach dem Pott und stellte ihn in den Sand. Nachdem er eine kleine Menge getrockneter Pflanzen dort hinein zerkrümelt hatte, ging er zu Sus, seiner Frau, und weckte sie.
»Der Tee zieht«, sagte er mit einem kaum vernehmbaren Lächeln auf seinen Lippen.
Sus wälzte sich ruckartig, fast erschrocken aus ihrer Decke und stand auf. In eine leicht nach außen gewölbte Steinschale streute sie die bereits am Vorabend aufgebrochenen Hirsekörner und zerrieb diese mit einem harten Stößel aus Holz. Ebenso geduldig wie achtsam. Bis nach schier endloser Monotonie, die nur von einem stetigen Scharren begleitet wurde, die ganze Masse zu Mehl wurde. Mit etwas Wasser aus dem Ziegenlederbeutel fertigte sie beinahe wie von Zauberhand einen elastischen Teig und rollte diesen, in vier Stücke geteilt, schließlich mit einem abgerindeten Zedernholz auf einer polierten Schieferplatte aus. Anschließend drehte sie den zuvor verwendeten Mörser einfach um und warf ihn in die Glut, worüber gerade noch das Teewasser gekocht hatte. Bevor die erste Flade Brot darauf landete, kam Mik mit einem kleinen Eimer voll Milch von den sechs Kamelen zurück, die am Rande des Lagers die Nacht verbracht hatten.
Auch als e-book erhältlich
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Sand des Vergessens
Kriminalroman von Michael Koller
Taschenbuch, 337 Seiten, € 13,90 (A)
ISBN 978-3-99074-185-5