„Maistrich“ von Lisa Gallauner

Eigentlich freut sich der Sankt Lindenbaumer Polizeibeamte Friedrich Fesch schon seit Wochen auf ein beschauliches Maifest mit seiner Sissi. Doch dann ist da dieser vermaledeite Maistrich vor der Feschen Haustür, der zu etwas äußerst Unschönem führt. Mit einem Mal überrollt seine behutsam verdrängte Vergangenheit den Polizisten, und keiner weiß mehr mit Sicherheit, wer hier gut und wer böse ist – nicht einmal die Michi Mörderisch.

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Also eines muss an dieser Stelle gesagt werden. Dass der Friedrich auf seine alten Tage noch einmal einen Maistrich bekommt, damit hat er jetzt wirklich nicht gerechnet. Für alle, die nun ein bisserl unsicher sind, was dem Sankt Lindenbaumer Polizeibeamten da zum Geschenk gemacht worden ist, sei gesagt: Ein Maistrich ist an sich nichts Unanständiges. Man kann also auch darauf gehen, ohne präventiv ein paar Vater Unser oder Gegrüßet seist du Maria beten zu müssen. Vorausgesetzt, man hat kein Problem mit Schlangenlinien. Weil so, wie der Maistrich, den man dem Friedrich da hingemalt hat, ausschaut, braucht es schon einen beachtlichen Alkoholspiegel, um die weiße Linie als Strich, oder wie der Matiklehrer vom Herrn Fesch immer gemeint hat, als Gerade, weil Strich gibt’s kan’, zu erkennen.
Eigentlich handelt es sich bei einem Maistrich um ein Kulturgut, vielleicht nicht unbedingt ein immaterielles Weltkulturerbe, aber doch eine schöne Tradition, die man in Dörfern wie Sankt Lindenbaum gerne am Leben erhält. Entstanden ist der Maistrich schon lange vor den Asozialen, pardon, Sozialen Medien, um Gott und der Welt zu zeigen, wer gerade auf wen einen Stand hat, also wer im Ort aktuell in wen verliebt ist. Weil nämlich die beiden Häuser, die durch den Maistrich miteinander verbunden werden, diejenigen beherbergen, die derartige Empfindungen füreinander hegen. Manchmal, wenn die Sympathie füreinander sehr geheim, oder nur einseitig, oder schon wieder Geschichte ist, ist so ein Maistrich also auch eine bittere Überraschung. Vor allem, weil er äußerst schlecht zu kaschieren ist. Der Friedrich schaut die verwordagelte Linie noch einmal kopfschüttelnd an, seufzt und hofft dabei, dass es sich um ein Kalk- und Wassergemisch und nicht um Dispersionsfarbe handelt, die da den Weg zu seiner Haustür verschandelt.

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Maistrich
Kriminalroman von Lisa Gallauner
Taschenbuch, 202 Seiten, € 12,90 (A)
ISBN 978-3-99074-222-8

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