„Letzte Tage im Mühlviertel“ von Christian Hartl

Versicherungsvertreter Oswald Oberngruber ist ein Loser und wird vom Pech verfolgt. Nach einer durchzechten Nacht fabrizierte der Endvierziger ein schlüpfriges Nackt-Selfie, schickt es an eine dubiose Kontaktadresse und wird damit erpresst. In seiner Verzweiflung, das Lösegeld unbemerkt von seiner Frau aufzubringen, raubt er die nächstgelegene Tankstelle aus. Der Überfall verläuft stümperhaft und der Verzweiflungstäter nimmt unfreiwillig Alois Hofer als Geisel. Was Oberngruber nicht weiß: Der Mann hat Krebs im Endstadium, sucht seinen schon lange vermissten Sohn und heckt einen geheimen Plan aus. Als die Ermittlungen von Bezirksinspektor Gerhard Grinninger Fahrt aufnehmen, nimmt das Chaos überhand. .

Leseprobe

Niemand kommt normalerweise zufällig in diese Gegend. Es ist kalt, nass und auch in den Sommermonaten ungemütlich. Unablässig trommeln die Regentropfen auf das Autodach und die grauen Nebelschwaden hüllen die Landschaft in eine erbärmlich feuchte Hülle. Ich friere und spüre, wie sich die nasskalte Luft ihren Weg durch den schwarzen Army-Anzug bis auf die Knochen bahnt. Seit heute Morgen beherrscht dieses Dreckswetter den Alltag in unseren Breitengraden. Ein weiterer Beweis, dass ich bei meiner Geburt am komplett falschen Ort gelandet bin. Doch bald ist es endlich vorbei. Ich werde meine Mission erfüllen. Noch einmal streiche ich ganz sanft mit meinem Finger über die am Beifahrersitz liegende AK77. Ich fühle das kalte Metall und stelle mir vor, wie der Lauf dieser Waffe nach meiner Operation glühen wird.
Um alles richtig zu machen, habe ich meine ganzen Ersparnisse im Darknet investiert, um mir dieses vollautomatische Schießeisen und einen Berg an Munition zu kaufen. Schon vorher habe ich alle meine Habseligkeiten im Internet verkauft. Zuerst die Plattensammlung, dann die VHS-Pornos und schließlich gestern Abend all das Hab und Gut von meiner Mama. Gott habe sie selig. Man muss eben lernen, sich von liebgewonnenen Dingen zu trennen, um Platz für Neues zu schaffen. Das sagte auch sie immer zu mir.
Ich starre auf den Karton mit den Patronen. Bevor ich abtrete, soll es noch ein richtiges Feuerwerk geben. Es wird das totale Massaker – da bin ich mir ganz sicher. Bis zum bitteren Ende werde ich wohl durchhalten müssen. Ich bin dafür ausgebildet, habe mich psychisch abgehärtet und in allen Foren das aufgesogen, was für eine solche Operation notwendig und wichtig werden wird. Ich habe die Kommentare gelesen, die Videos gesehen und mich auf das Schlimmste vorbereitet. Es wird viele Leichen geben. Das wird die Challenge sein, aber ich kenne den Ort wie sonst kaum ein anderer. Erst wenn es vollbracht ist, werde ich das absolute Glück mit allen Poren spüren. Die letzte Kugel ist für mich reserviert. Ich bin ein Krieger, der im Harakiri den absoluten Höhepunkt erleben wird. Nicht so wie die angeblichen Helden meiner Generation. Ich ziehe es durch. Genauso wie ein Jihadist, auf den zur Belohnung 99 Jungfrauen warten. Dann werde ich in die Hall of Fame einziehen und nichts, was mir wichtig ist, zurücklassen oder verschonen. Ich werde gefeiert werden, meine Heldentat wird Nachahmer finden und den ganzen Firlefanz, den die bisherigen Krieger vor mir veranstalteten, in den Schatten stellen. Da bin ich mir sicher. Die Rache ist mein. Alles, was mir hier widerfahren ist, wird sich in Schall und Rauch auflösen und meine geschundene Seele findet endlich ihre Ruhe.
Mama wird dort oben auf mich warten. Erst wenn es vollbracht ist, wird sie verstehen. Es war notwendig.

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Thalia

Letzte Tage im Mühlviertel
Kriminalroman von Christian Hartl
Taschenbuch, 197 Seiten, € 14,90 (A)
ISBN 978-3-99074-322-5