„7 Tage – Dottor Quaranta begegnet dem Grauen“ von Joseph Lemark

In den Wochen vor Weihnachten erschüttert eine Serie von Selbstmorden prominenter Bürger die apulische Kleinstadt Ostuni. Josef Vierziger vulgo Dottor Quaranta glaubt nicht an Zufälle und wird misstrauisch. Ist ein Machtkampf im organisierten Verbrechen im Gange? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Dottor Quaranta ist persönlich betroffen und kommt Ungeheuerlichem auf die Spur.

Leseprobe

Die letzten kleinen Flammen im Kamin warfen irrlichternde rötliche Schimmer an die Wände. Alles andere lag im Dunkeln. Nur die alte Art-Deco-Lampe zeichnete einen hellen Kreis in die Mitte des Schreibtisches. Auf den Brief und auf das Foto, das der alte Mann schon seit einer gefühlten Ewigkeit anstarrte. Manchmal drang ein dünnes Licht durch die Blätter der Oliven vor dem Haus und setzte einen kleinen Punkt auf das Glas mit dem schweren, salentinischen Wein. Dann sah er kurz auf, hinaus in die mondlose Nacht mit den Myriaden von silbernen Sternen. Er trank aus, schenkte nach und stellte die leere Flasche zu der anderen, außerhalb des Lichtscheins. Langsam und bedächtig zündete er sich eine Zigarre an. Wieder nahm er den Brief in die Hand, sah ihn an, las die paar Zeilen und legte das Blatt zur Seite. Fast wollte er das Foto schon auf den Brief legen, ließ es dann aber doch bleiben. Ein paar Sekunden lang sah er es an, bevor er damit hinüber zum Kamin ging und es auf die Glut legte. Er wartete, bis von dem Papier nur mehr ein grauer Schatten aus Asche geblieben war. Am Ende stocherte er mit dem Kamineisen so lange darin herum, bis keine auch noch so winzige Spur des verbrannten Briefes mehr übrig war. Er setzte sich wieder hin, nahm das Foto in die Hand, drehte es um und las zum tausendsten Mal die auf die Rückseite gekritzelte Botschaft. Er wusste, was sie zu bedeuten hatte. Und er wusste, dass sie ernst gemeint war. Er zog eine der Schubladen seines Schreibtisches auf, steckte das Foto in ein Kuvert und schob beides in eine Mappe zu einem Haufen längst nutzlos gewordener Papiere und Notizen vergangener Zeiten. Aus dem Schrank hinter ihm nahm er eine kleine, braune Glasflasche. Die Hälfte der farblosen Flüssigkeit darin goss er in sein Glas und schwenkte es dann vier- oder fünfmal, bis sich der Wein und die Tinktur vermischt hatten. Während er das tat, paffte er an seiner Zigarre. Dann trank er das Glas mit einem Schluck aus. Nach einem weiteren Zug, schon auf dem Weg ins Schlafzimmer, warf er die Zigarre in das sterbende Feuer des Kamins.

Auch als e-book erhältlich
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7 Tage
Kriminalroman von Joseph Lemark
Taschenbuch, 327 Seiten, € 13,90 (A)
ISBN 978-3-99074-261-7

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